Hunde sind soziale Wesen. Hunde in Gruppen sind aktiver, sie können die artspezifische Kommunikation und den Austausch pflegen, was Wohlbefinden und die Ausgeglichenheit unserer vierbeinigen Freunde steigert. Die meisten unserer Gäste leben als Einzelhunde in einem Haushalt. Sie treffen andere Hunde auf dem Spaziergang, was meist nur eine kurze Begegnung ist. Vielleicht haben sie zusätzlichen Kontakt mit einem Nachbarshund. Insgesamt haben sie wenig Gelegenheit, ihre Kommunikationsfähigkeiten einzusetzen und ihr Kommunikationsverhalten zu schulen. Deswegen schätzen unsere Gäste die Möglichkeiten, die wir ihnen bieten: ruhen und schlafen mit vielen Hunden im selben Raum, sich im Auslauf mit vielen bekannten und immer wieder unbekannten zu treffen und auseinanderzusetzen und die ganze Gruppendynamik zu erleben. Kurz: Hunde in Gruppen zu halten und zu führen ist ein Ferienerlebnis der besonderen Art, vergleichbar mit dem Klassenlager bei Kindern!
Hundegruppe vs. Rudel
Hunde in Gruppen in einer Pension ist eine grosse Herausforderung. Oft werden dafür Ausdrücke verwendet wie „Rudelhaltung“, „Hunderudel“ oder „Hunde in Rudeln führen“. In diesem Zusammenhang ist das irreführend. Im verhaltensbiologischen Sinn ist ein Rudel ein völlig anderes soziales Konstrukt: Es ist ein Verbund, oft ein Familienverbund, von Tieren (hier Caniden, es trifft aber auch auf einige andere Säugetiere zu), welche sich kennen und erkennen und welche über viele Jahre zusammenleben. Es können klare hierarchische Strukturen und auch Arbeitsteilungen beobachtet werden. In einem Rudel hat sich eine feine Balance zwischen allen Mitgliedern herausgebildet mit dem Ziel, keine Energie durch innere Reibereien zu vergeuden.
Weitere Informationen zu diesem Thema finden Sie auch unter https://de.wikipedia.org/wiki/Rudel_(Verhaltensbiologie). In einem Tierheim, einer Pension, auf dem Hundeplatz, also überall, wo sich Hunde für eine bestimmte Zeit in unterschiedlicher Zusammensetzung treffen, spricht man von Hundegruppen, Hunde in Gruppen oder Hunde in Gruppenhaltung. Die Herausforderung besteht darin, aus einer grossen Anzahl Individuen, welche oft täglich wechseln und sich nur teilweise oberflächlich kennen, eine funktionierende und möglichst stressfreie Gruppe zu formen.
Gruppenbildung
Damit das zum Erfolg für alle Beteiligten wird bedarf es eines sorgfältigen Beobachtens aller Vorgänge, ein feinfühliges Coaching und allenfalls ein Auftrennen in zwei oder mehrere kleine Gruppen. Das Ziel ist nicht eine Riesengruppe, sondern dass es für alle Beteiligten möglichst stressfrei, lehrreich und motivierend ist. Ob alle Hunde in einer Gruppe geführt werden können ist abhängig von den Wesensmerkmalen der Pensionsgäste. Oft ist es eine tolle Sache, 20 und mehr Hunde in einer Gruppe zu halten, manchmal müssen wir aber Kleinstgrüppchen mit zwei oder drei Hunden machen. Wie bei den Menschen gibt es auch unter Hunden Sympathie und Antipathie. Wenn wir Hunde haben, welche sich gegenseitig nicht mögen, reagieren wir darauf und machen entsprechend kleinere Gruppen.
Mit ein bisschen Geduld und (menschlicher) Hilfe hat aber schon mancher Hund gelernt, dass der verhasste Konkurrent eigentlich gar nicht so schlimm ist und dass es ja eigentlich genügend Platz hat, um sich aus dem Weg zu gehen. Nicht selten hat sich sogar aus einer anfänglich sehr schwierigen Beziehung eine echte Freundschaft entwickelt. Solche Entwicklungen zu beobachten macht Freude, denn es zeigt: diese Hunde haben etwas gelernt, wir konnten etwas zu ihrer Entwicklung beitragen und sie werden in Zukunft ein besseres Leben haben, weil sie sich besser einordnen können.
Gruppengrösse
Immer wieder stösst man auf die Meinung, dass Gruppen mit mehr als drei oder vier Tieren die Hunde überfordern und Stress auslösen. Unsere Erfahrung zeigt, dass dies nur in einzelnen seltenen Fällen zutreffen kann. Ist dies der Fall, reagieren wir und verkleinern die Gruppe rund um diesen Hund. In der Regel trifft eher das Gegenteil zu: Je grösser die Gruppe, desto anonymer wird das einzelne Individuum, desto weniger kann sich ein Hund auf einen einzelnen anderen fokussieren und desto eher findet er einen, den er toll findet.
Vorausgesetzt, der Tierpfleger kann die nötige Sicherheit verbreiten, kann ganz allgemein bei grösseren Gruppen weniger Stress bei den einzelnen Individuen, weniger Mobbing, mehr bilaterale (mit zwei oder drei Hunden) Spiele, weniger Gebell und mehr „vor sich hinschnüffeln“ beobachtet werden. Im nachfolgenden Video sehen Sie eine Gruppe von 15 Tieren. Da die Kamera starr montiert ist (Videoüberwachung) sind nicht immer alle Tiere zu sehen. Entscheiden Sie selbst: machen diese Hunde einen gestressten Eindruck?
Weitere Videos und Fotos finden Sie in der Foto- und Videogalerie.
Im Aufenthaltsraum
Einen weiteren Typ „Gruppe“ bilden die zwei oder drei Hunde, welche ihr Abteil im Aufenthaltsraum teilen. Die allermeisten Hunde lieben es, nicht allein in einem Abteil zu sein. Ja, es gibt sogar solche, welche schlecht fressen, wenn sie alleine sind, obwohl wir die Hunde zum Fressen trennen. Wir erachten es als wichtig, dass jeder ungestört in seinem eigenen Tempo fressen kann. Hunde in Gruppen zu führen heisst nicht, wie teilweise befürchtet, dass einfach x-beliebige Hunde zusammen gelassen werden, ganz nach dem (unsäglichen) Motto „die werden das schon untereinander regeln“.
Entsprechend ist es auch so, dass wir nicht einfach zwei beliebige Hunde in einem Abteil zusammen unterbringen. Wir wählen die Partner so aus, dass es erstens keine Aggressionen untereinander gibt, auch dann nicht, wenn die Fütterung beginnt und im ganzen Raum eine gewisse Aufregung herrscht, zweitens nicht non-stop gespielt wird. Hunde brauchen ihre Ruhe! Und drittens kein Mobbing stattfindet. Das können wir mit der Videoüberwachung kontrollieren.
„Zimmerkollegen“: Entscheidungsgrundlagen
Bei Bedarf untersuchen wir ganze Nächte, wie geschlafen wurde und welche Aktivitäten zu welcher Zeit stattgefunden haben. Da haben wir schon unglaubliche, sehr subtile Versionen des Mobbings gesehen. Selbstverständlich werden in solchen Situationen neue Partner gesucht. Ein Grossteil unserer Gäste sind Stammkunden, die wir gut kennen und von denen wir wissen, welcher Typ Wesen gut zu ihnen passt und welche Verhaltensweisen sie gar nicht mögen. Wir haben Hundegäste, welche seit Jahren jede Woche eine fixe Anzahl Tage bei uns verbringen und seit Jahren denselben Zimmer-Partner haben und sich über die Zeit eine richtige Freundschaft gebildet hat. Hunde, welche negativ reagieren, wenn sie nicht alleine sind und solche, die zum ersten Mal bei uns sind, haben ihr eigenes Abteil.
Um das alles zu erreichen gehen wir mit viel Feingefühl vor. Manchmal, wenn die Wesen grundsätzlich zueinander passen, sind unter anderem folgende Kombinationen toll: älterer erfahrener Hund mit einem jungen Hund. Der Ältere kann Ruhe und Sicherheit vermitteln, der Junge revanchiert sich, indem er ein bisschen „Leben in die Bude“ bringt. Oder ein sicherer mit einem unsicheren Hund. Allerdings kann diese Konstellation anfällig für Mobbing sein (der Sichere gegen den Unsicheren), welche wir dann wieder trennen. Natürlich ist das ein Aufwand für uns, wenn wir aber sehen, wie wohl und zufrieden die Hunde mit dem richtigen Partner sind, ist es den Aufwand wert.
Gruppendynamik und Tierpfleger
Ein nicht zu unterschätzendes Thema ist die Gruppendynamik welche sich positiv oder negativ auswirken kann und welche vom Verhalten des Tierpflegers massgeblich beeinflusst wird. Dieses Wechselspiel wurde bereits 1994 von der bekannten Zoologin und Verhaltenstherapeutin Sonja Doll Hadorn in einer Diplomarbeit wissenschaftlich untersucht. Über sein Verhalten kann der Tierpfleger Aktivität oder Ruhe verbreiten, er kann Streitigkeiten schlichten oder durch ungeschicktes Verhalten eskalieren lassen, er kann die natürliche Führerschaft auf dem Platz übernehmen oder es den Hunden überlassen, die Machtansprüche unter sich auszumachen. Nachfolgender Video (Zusammenschnitt aus der Videoüberwachung) zeigt, wie sehr sich die Hunde – eine Gruppe mit 26 Tieren – am Tierpfleger orientieren, obwohl er keine Interaktion mit den Hunden aufnimmt. Zuerst nimmt er Kot zusammen – eine Daueraufgabe , anschliessend sitzt er auf der Bank oben im Auslauf.
Gruppendynamik und Fläche
Ein ebenfalls sehr wesentlicher Faktor bei Hunde in Gruppen sind die zur Verfügung stehende Fläche und die Strukturen auf dieser Fläche. Auf diesen zentralen Umstand weist auch der bekannte Kynologe und Caniden-Forscher Günther Bloch in seinem Buch „Der Mensch-Hund-Code“ im Kapitel „Gemischte Pensionshundegruppen“ hin. Günther Bloch betrieb selber viele Jahre ein wegweisendes Hundeheim und Verhaltenszentrum. Viele Hunde sind sich schlichtweg nicht gewohnt, mit vielen Hunden auf engem Raum zusammen zu sein. Unsere grossen Flächen bieten die Möglichkeit, Abstand zu jenen zu halten, welche (noch) nicht ganz geheuer sind. Im Gegensatz zu kleinräumigen Strukturen muss der Abstand nicht mit Aggression und Wegbeissen erarbeitet werden. Wir haben schon Hunde, zum Beispiel schüchterne bei ihrem ersten Aufenthalt oder bekannte, welche vorübergehend nicht ganz fit sind, beobachtet, welche den ganzen Tag eigentlich nicht wirklich sichtbar waren. Sie waren zwar immer dabei, aber immer irgendwo am Rand des Geschehens, weit weg, allein.
Gruppendynamik und Strukturen
Unser wichtigster Aussenbereich besteht neben einer grossen Wiese mit drei Tannen als einziger natürlichen Struktur noch aus dem Hofplatz, welcher in sich viele Strukturen wie ein offenes Grillhaus und viele Büsche aufweist sowie einem grossen Sitzplatz, welcher durch einen Zaun von der Wiese abgetrennt, gegen den Vorplatz aber offen ist, einem Haselhain und vielem mehr. Die grosse Wiese ergänzen wir mit künstlichen Strukturen, welche ungefähr alle zwei Wochen geändert werden. Wir setzen unterschiedliche Materialien und Gegenstände ein, zum Beispiel niedrigere und höhere Türme aus Paletten, Nutztier-Gatter, Weidezäune oder Gefährte wie Viehanhänger. Wir könnten ein Buch darüber schreiben, wie diese Änderungen die Gruppendynamik beeinflussen. Und manchmal erhalten wir „fremde“ Hilfe und es „schneit“ uns Strukturen unverhofft herein , wie nachfolgender Video zeigt.
Vor dem Schlafengehen
Der letzte Aufenthalt im Freien vor dem Schlafengehen ist meist eine ruhige Sache. Wir umrunden gemeinsam den grossen Auslauf, jeder geht seinen Interessen nach und macht sein letztes Geschäft. Am immer gleichen Punkt erhält jeder Hund Gutelis. Das ist ein Ritual, welches bei den Tieren sehr hoch im Kurs steht und auch von Erstaufenthaltern sofort verstanden wird. Einzelne Tiere gehen ziemlich direkt zu diesem Punkt und warten dort auf die anderen.
Der Ablauf: die Hunde versammeln sich um den Tierpfleger. Der Reihe nach wird jeder Hund mit Namen angesprochen und erhält ein Guteli. Die anderen dürfen es ihm nicht streitig machen und sich auch nicht vordrängen. Dieser Vorgang wird dreimal hintereinander durchgeführt. Oft stehen in dieser Situation „Feinde“ nebeneinander, ohne Probleme, einfach nur auf den Tierpfleger konzentriert. Solche Aktivitäten stärken das Zusammengehörigkeitsgefühl, bringen Ruhe in die Gruppe und fördern das Verständnis für den anderen. Sehen Sie selbst.
Anschliessend geht der Spaziergang weiter bis zur Bank. Dort setzt sich der Tierpfleger und beobachtet die Gruppe, nimmt aber selber an keinen Aktivitäten teil. Viele Hunde geniessen diese Situation sehr. Sie sind in der Nähe, kommen mal kurz vorbei, um sich ein paar Streicheleinheiten abzuholen und gehen wieder schnüffeln. Je nach Zusammensetzung der Gruppe gibt es auch Spielsequenzen oder kurze Rennspiele. Aber insgesamt ist das Aktivitätsniveau – verglichen mit dem Tag – eher tief. Der nachfolgende Video besteht aus vielen Sequenzen, welche über einen Zeitraum von etwa zwei Monaten aufgenommen wurden. Es immer die gleiche Situation: die letzte Stunde vor dem ins-Bett-gehen, von der Bank aus betrachtet.
Fazit
Hunde in der Gruppe zu führen ist aufwändig, erfordert Zeit und Einfühlungsvermögen. Es wird aber von den allermeisten Gästen sehr geschätzt. Gemäss vielen Berichten von den Haltern unserer Gäste wirkt sich das auch positiv auf das Verhalten auf dem Spaziergang und auf der Hundewiese aus.